Wer weg vom Gas will, muss mitunter tief bohren. Im Hinterhof eines Gründerzeithauses in der Zwölfergasse 21 in Wiens 15. Bezirk wurde im Jänner an vier Stellen weit unter die Stadt hineingebohrt – dreimal 100, einmal 150 Meter ins Erdreich. Im Rahmen einer Sanierung wird hier eine Sole-Wasser-Wärmepumpe errichtet, mit der im Winter die Wärme, im Sommer die Kälte aus der Tiefe kommt. Bisher hing zum Heizen in jeder der zwölf Wohnungen eine Gastherme.

Auf der Baustelle im 15. Bezirk hoffen Isabella Wall und Günther Trimmel, dass sie bald alle zwölf Wohnungen an das nachhaltige Heizsystem anschließen können.
Foto: Regine Hendrich

Es ist ein Schritt, der in vielen Häusern des Landes ansteht. Fast eine Million Gasheizungen sind noch im Einsatz, großteils in Wien, gefolgt von Nieder- und Oberösterreich. Bis 2040 müssen die klimaschädlichen Geräte Geschichte sein. Der Ukraine-Krieg dürfte den Umstieg auf nachhaltigere Systeme – je nach Wohnort und Wohnsituation beispielsweise Wärmepumpen oder Pelletsheizungen – befeuern. 80 Prozent des Erdgases, mit dem der Raum geheizt und das Wasser gewärmt werden, kommen aus Russland. Die Angst, dass Russlands Diktator Wladimir Putin Europa den Gashahn abdreht, treibt viele zu den Energieberatungsstellen.

Botschaft angekommen

Fachleute hätten immer infrage gestellt, ob es nötig sei, für das Warmwasser zum Duschen Gas aus 5000 Kilometer Entfernung zu beziehen, sagt Franz Angerer, Geschäftsführer der Österreichischen Energieagentur: "Jetzt ist die Botschaft bei allen angekommen."

Unter anderem bei den Besitzern von Einfamilienhäusern. Bei der Energieberatung Niederösterreich wurden heuer bis Ende Februar schon 3200 Beratungen durchgeführt, das war ein Plus von 235 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Und auch beim Energiesparverband Oberösterreich laufen die Telefone heiß. Allerdings nicht erst seit Ausbruch der Krise rund um die Ukraine, "sondern es begann schon im vierten Quartal 2021, als die Strom- und Ölpreise begonnen haben anzuziehen", sagt Geschäftsführer Gerhard Dell. In den vergangenen Tagen gab es dann allerdings noch mal "einen ordentlichen Schwung".

Allerdings: Der Umstieg wird in den wenigsten Häusern bis zur kommenden Heizsaison vollzogen sein. Manche Rohstoffe und Materialien, wie beispielsweise Wärmepumpen, waren schon vor dem Krieg schwer zu bekommen. Nun könnte sich die Situation noch einmal zuspitzen. Auch die Auftragsbücher von Installateurbetrieben sind voll.

Erst dämmen, dann Kesseltausch

Sinnvoll ist der Umstieg auf ein neues Heizsystem nur dann, wenn man den Heiz- und Energiebedarf des Hauses in Form einer thermischen Sanierung reduziert. "Viele Eigentümer überlegen sich gerade einen Sanierungsfahrplan", sagt Nicole Büchl, Pressesprecherin der Wiener Beratungsstelle Hauskunft. Erst kommt die thermische Sanierung, in fünf Jahren folgt die Umstellung des Heizsystems.

Viele überlegen sich derzeit einen Sanierungsfahrplan: Erst kommt die thermische Sanierung, dann das neue Heiz-System.
Foto: Regine Hendrich

Mit etwas Glück hat man bis dahin die Fernwärme vor der Haustür. Deren jetzt schon 1300 Kilometer umfassendes Wiener Leitungsnetz wird sukzessive ausgebaut; allerdings streng nach Kriterien der technischen und wirtschaftlichen Machbarkeit, wie Michaela Deutsch erklärt. Die Bereichsleiterin für Energiedienstleistungen ist verantwortlich für den Fernwärmeausbau bei Wien Energie und betont: Oberstes Kriterium sei die sogenannte "Anschlussdichte", also wie viele Anschlüsse auf einer bestimmten Wegstrecke möglich seien. Ein Thema sind aber auch die Platzverhältnisse in den anzuschließenden Häusern: Es brauche eine Übergabestation im Keller, und für die Steigleitungen müsse meist auch radikal aufgestemmt werden.

Das Problem mit der Fernwärme: Zumindest in Wien ist sie derzeit alles andere als frei von fossilen Brennstoffen. Etwa 25 Prozent der Leistung werden durch Müllverbrennung erzielt, der Rest sind fossile Quellen. "Derzeit ist die Fernwärme noch stark gasgestützt", sagt auch der Energie-Experte Michael Cerveny von Urban Innovation Vienna. "Aber sie ist dekarbonisierbar", etwa indem die Wärme von Betrieben oder aus der Umwelt genutzt wird.

In Simmering wird nun etwa neben der Kläranlage eine Großwärmepumpe gebaut, die die Abwärme der Kläranlage zur Erzeugung klimaneutraler Fernwärme nutzen soll. Und auch nach Heißwasservorkommen in tiefen Erdschichten wird fieberhaft weitergesucht. So sollen 56 Prozent der Wiener Haushalte bis 2040 mit klimaneutraler Fernwärme versorgt werden können.

Der Ausstieg ist möglich

Denn für ganz Wien ergebe der Ausbau keinen Sinn, sagen sowohl Deutsch als auch Gerhard Bayer, Energieexperte bei der Österreichischen Gesellschaft für Umwelt und Technik (Ögut). Insbesondere in peripheren Lagen werde die Versorgung dezentral unter Verwendung von Wärmepumpen oder ganzer, sogenannter "Anergienetze" vonstattengehen müssen. Darunter versteht man, vereinfacht gesagt, ein Zusammenspiel aus Erdwärmesonden, Solarenergie und Abwärmenutzung, idealerweise gleich für die Versorgung ganzer Wohnblöcke oder sogar Stadtteile.

Im Jänner wurde im Hinterhof des Gründerzeithauses im 15. Bezirk an vier Stellen in die Tiefe gebohrt.
Foto: Trimmel Wall Architekten

Möglich ist der Komplettausstieg aus dem Gas, darin sind Expertinnen und Experten einig. Aber er wird dauern – besonders in Wohnungseigentumsgemeinschaften, in denen die Mehrheitsfindung schwierig ist. Es gibt aber auch kurzfristigere Maßnahmen, die sinnvoll sind. So müsse man zigtausende öl- oder gasbeheizte Haushalte in Österreich nur noch anschließen, weil die Fernwärmeleitungen bereits vor der Haustür liegen. Dafür gebe es Förderungen, aber keine Verpflichtung, daher würden das viele nicht machen, kritisiert Michael Cerveny: "Dabei zahlt die Öffentlichkeit für die Infrastruktur."

Dem Vernehmen nach könnte sich das mit dem Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das demnächst in Begutachtung gehen dürfte, ändern.

Auf der erwähnten Baustelle im 15. Bezirk hoffen die Architekten Isabella Wall und Günther Trimmel nun, dass Tiefenbohrungen bald schon im öffentlichen Raum – etwa auf Gehwegen – möglich sein werden. Mit den vier vorhandenen Bohrlöchern im engen Hinterhof kann nämlich nur die Hälfte der Wohnungen mittels Wärmepumpe beheizt werden, weil zwischen den Löchern einige Meter Abstand sein müssen.

Sechs der zwölf Wohnungen bleiben wohl vorerst bei ihren alten Gasthermen. So bleibt der Ausstieg aus dem Gas eine halbe Sache. (Martin Putschögl, Franziska Zoidl, 13.3.2022)